Freitag, 12. Dezember 2008

Die alte Glashütte

Die alte Glashütte

Inmitten dunkler Kiefernwälder auf märkischem Sand gebaut steht in dem kleinen Dorf Glashütte, unweit der Autobahn nach Berlin und nur sechs Kilometer entfernt von der Stadt Baruth eine alte Glashütte. Schon seit dem Beginn des achtzehnten Jahrhunderts schmelzen hier Leute Glas. Sie versuchten aus dem Sand und dem Holz der Umgebung Flaschen zu machen. Mal hatten sie Erfolg und dann wieder kamen Zeiten der Not über das Dorf. Hier entstanden Lampen und Lampenschirme, hier steht aber auch die Wiege der Thermoskanne, ein Herr Burger war der Erfinder dieser heute noch nützlichen Kanne. Eines Tages, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kam dann das endgültige Aus einer alten Tradition, die letzten Weinballons wurden gefertigt. Nur noch die Montage von nostalgischen Petroleumlampen gab noch einigen Menschen Arbeit und das Dorf begann zu verfallen.
Aber es war doch nicht das Ende eines romantisch gelegen Ortes, fernab des Lärms der Großstadt. Viele Menschen wurden Anfang der neunziger Jahre arbeitslos, viele suchten einen Neuanfang und Ruhe zum arbeiten. So taten sie, was viele schon versucht hatten, sie gründeten einen Verein. Ein Museum wurde eingerichtet, Häuser renoviert und bald kamen die ersten Besucher. Künstler, Töpfer, Seifensieder und Filzer bezogen den Ort. Künstler begannen in dem alten Packschuppen ihre Arbeiten zu zeigen und endlich entstand in der alten Hütte auch ein neuer, kleiner Schmelzofen. Ein Glasmacher kam und es wurde wieder Glas geschmolzen, der uralte Werkstoff der Menschen, der so vielseitig einsetzbar ist und doch immer wieder von neuem den Menschen begeistert.
Ein Badeteich entstand und der Gasthof öffnete neu. Am alten Dorfbackofen standen die Besucher bald Schlange nach warmen, duftenden Brot und um die Ecke bekam der Gast gleich die passende Wurst und den passenden Käse zu seinem Brot. Manches Glashüttenfest wurde seitdem schon gefeiert und mancher Gaukler, Straßenhändler und Handwerker traf sich in diesem Dorf mit den Gästen und den Einheimischen.
Wie in jedem Jahr gab es wieder einen Weihnachtsmarkt. Die Wolken hingen tief, der erste Schnee des diesjährigen Herbstes war schon geschmolzen und der kalte Wind rauschte in den Kronen der Bäume. In den Fenstern der Fachwerkhäuser leuchteten die Kerzen, die letzten Besucher des Marktes saßen beim Gastwirt in der warmen Stube und schlemmten sich durch die einheimischen Spezialitäten. Nur einer ging noch einmal durch das Dorf, vorbei an den wiederbelebten Häusern, den stillen Vorgärten und fast am Ende des Dorfes betrat er seine Glashütte. Es war Johan, ein junger Glasmacher, der nach der Lehre arbeitslos wurde, einige Jahre in der Fremde sein Können vervollständigte und nun hier heimisch geworden ist.
Ruhig war es in seiner Hütte, vor einigen Stunden standen viele Besucher vor seiner Arbeitsbühne und schauten ihm zu. Manche versuchten selbst ein Stück Glas zu formen und trugen ihre Kunstwerke in den Bullofen zum Abkühlen. Von jedem hatte er die Anschrift und jeder würde sein Kunstwerk auch pünktlich zum Fest erhalten. Morgen früh sollten sie genügend gekühlt sein. So kontrollierte Johan noch einmal den Ofen und seinen kleinen Schmelzofen. Flammen spitzten aus dem Arbeitsloch hinter dem Kuchen hervor und Johan setzte sich auf die Arbeitsbühne, ließ die Beine und die Seele baumeln und schaute auf die alte Schmelzwanne vor ihm. Damals hatten sie nicht einmal das letzte Glas abgelassen, der Ofen stand noch immer so hier, wie ihn die letzten Glasmacher vor fast dreißig Jahren verlassen hatten. Durch die Arbeitslöcher reflektierte das weiße Glas das Licht des neuen Ofens und fast schien es, als ob das Glas im alten Ofen wieder warm würde. Alte Werkzeuge der Glasmacher standen ordentlich auf der alten Ofenbühne und so schienen die Leute eben nur mal Feierabend gemacht zu haben.
Plötzlich erklang eine Glocke, jemand lief durch das Dorf und rief die Leute zur Arbeit.
Der Hüttenmeister war es, denn das letzte Glas vor dem Weihnachtsfest war blank geschmolzen, der Ofen hatte Arbeitstemperatur und so musste angefangen werden.
Müde kamen die Glasmacher mit ihren halbwüchsigen Söhnen aus den Häusern. In ihren Holzpantinen schlurften sie durch den Schnee zur Hütte. Hin und wieder blinkte ein Stern durch die Wolken und vielleicht würde der Tag mal hell und klar. Schnee lag schon genug und die Leute freuten sich auf die freien Tage, auch wenn manchen die Sorgen drückten, weil der Hüttenmeister den letzten Wochenlohn noch nicht ausgezahlt hatte. Trotzdem begannen sie mit ihrer Arbeit, es half ja nichts. Der Anfänger blies einige Külbel, die Formhalterjungen legten nasse Späne in die Eisenformen oder holten die nassen Holzformen aus dem Wassertrog und dann gab der Glasmacher das Zeichen zum Beginn. Die Häfen waren wohl heute nicht so voll geschmolzen wie üblich, vielleicht hatten sie die Arbeit bis zum Mittag geschafft. So formten sie ihre Lampenschirme, einige machten auch heute wieder Flaschen, die Jungen kamen aus der gebückten Haltung gar nicht mehr hoch und die Einträgerjungen mussten sich sputen, beim Eintragen der heißen Gläser und trotzdem aufpassen, das kein Stück kaputt ging. Der Hüttenmeister bezahlte nur brauchbare Stücke und zerbrochenes Glas gab Abzug und Ohrfeigen vom Glasmacher. Es wurde wenig gesprochen, alle verstanden sich blind und ohne viele Worte. Endlich ertönte die Glocke zum Frühstück. Gemeinsam saßen die Arbeiter auf der Bühne, die Väter verteilten das mitgebrachte Brot und den Tee, die Jungs alberten etwas rum und als sie aufgegessen hatten, durften einige sich an den Glasmacherpfeifen ausprobieren. Nur so konnten sie den Beruf lernen und vielleicht eines Tages die Werkstelle des Vaters übernehmen. Mancher träumte im Stillen wohl auch von der Stelle des Hüttenmeisters oder des Blankschmelzers.
Kurz vor dem Ende der Pause erschien der Hüttenmeister wieder und er rief in die Runde: „Leute, wenn ihr fertig seid, haut ihr nicht gleich ab. Wascht Euch und kommt in die Hafenstube.“
Die Glasmacher murrten, sie wollten nach hause und wenn es schon kein Geld gab, wollten sie wenigstens noch versuchen, ob der Kaufmann anschrieb oder wenn nicht, mussten sie einen Hasen aus dem eigenen Stall schlachten, damit wenigstens etwas zum Fest da war. Also arbeiteten sie weiter und als es gerade zwölf schlug, waren die letzten Reste Glas verarbeitet. Sie stellten ihre Werkzeuge weg, die Külbelmacher setzten die Arbeitslöcher mit den Kuchen zu und die Formhalter legten neue Späne in die Wasserbottiche und die Glasmacher taten das Gleiche mit den Holzformen und den Wulgerlöffeln. Endlich wuschen sich alle und gingen in die Hafenstube.
Welche Überraschung, die neuen Häfen waren zugedeckt, ein warmer Hauch nach frischer Schamotte lag in der Luft und in der Stube standen Tische und Bänke. In der einen Ecke stand sogar ein geschmückter Weihnachtsbaum und langsam versammelten sich alle Glasmacher, die Glasschleifer, die Maler und Malerinnen und die Schürer. Diese hatten neue Sachen an und rochen mal nicht so sehr nach Teer und Rauch. Die Schmelzer und ihre Gehilfen waren gekommen, auch in sauberen Sachen und endlich erschienen der Hüttenbesitzer mit dem Hüttenmeister und dem Buchhalter. Die Leute standen auf, aber sie sollten sofort wieder Platz nehmen. Hüttenbesitzer und Meister tuschelten noch, aber nun ging noch einmal die Tür auf und die Frauen und Kinder der Glasmacher kamen, setzten sich neben ihre Familien und als dann auch noch der Kantor mit den Schülern der Dorfschule gekommen waren, war fast das gesamte Dorf anwesend.
„Liebe Leute, ihr wundert Euch vielleicht. Sicher denken einige, Geld zahlt er nicht, aber nimmt unsere Zeit in Anspruch. Leider konnten wir in der vorigen Woche nicht zahlen, aber unser Zahlenfuchser trieb in dieser Woche alle Rückstände ein und ihr bekommt heute Euren Lohn für zwei Wochen.“
Beifall für den im Allgemeinen nicht sehr beliebten Buchhalter, er war wirklich ein Pfennigfuchser und als Knauser, auch sich gegenüber, bekannt. Verlegen putze er seine Brille und begann dann mit der Lohnauszahlung. Nach dieser Unterbrechung fuhr der Hüttenbesitzer fort: „Männer, wir werden in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr nicht schmelzen. In dieser Zeit setzen wir neue Häfen und reparieren notwendige Dinge am Ofen. Ihr müsst also am 27. Dezember alle früh hier sein, auch die Schmelzer und die Gehilfen. Die Glasschleifer und Maler arbeiten bis zum Silvestermittag ihre Aufträge ab. Ab Januar haben wir sehr große Aufträge und wir können uns dann keine Ausfälle wegen schlechtem Glas oder Problemen mit dem Feuer leisten. Diese haben wir bekommen, weil Eure Arbeit so hervorragend war und niemand in dieser Gegend Eure Qualität erreicht. Eine kleine Bitte habe ich noch, nach meiner Rede werden Eure Kinder uns einige Weihnachtslieder vortragen und ich lade Euch ein, danach hier ein gemeinsames Mittagessen einzunehmen. Der Graf und meine Person bitten Euch darum.“
Verblüfft schauten sich die Leute an. Keiner konnte sich an solch eine Überraschung erinnern und langsam standen einige Glasmacher auf, applaudierten und schließlich standen alle Beschäftigten, die Kinder begannen mitten in dem Applaus mit ihrem Vortrag und als das Lied von der stillen, heiligen Nacht erklang, fielen die Arbeiter der Hütte in den Chor ein und es war wie in der Kirche zur Christmesse.
Der Hüttenmeister persönlich entzündete die weißen Kerzen am Baum, die Tür öffnete sich und herein kam der Gastwirt, der ja auch Kaufmann des Dorfes war und schob mit seiner Frau auf einer sauberen Lore der Schürer ein riesiges Schwein in die Hafenstube. Es war schon fertig gegrillt, er teilte es auf, seine Frau schenkte den Erwachsenen Bier und den Kindern Brause aus und so wurde es für alle ein schönes Weihnachten. Ganz langsam war es dunkel geworden und als die Glasmacher mit ihren Familien endlich heimgingen, fielen ganz leise Schneeflocken vom Himmel. Die Väter tollten mit ihren Kindern durch den Schnee, in ihrer Weinseeligkeit bauten sie noch Schneemänner mit den Kleinen und aus den Augenwinkeln wurde die Jugend beobachtet, die sich eine Schneeballschlacht lieferte. Mancher junge Glasmacher neckte eine junge Glasmalerin und manche Eltern sahen wohl schon in Gedanken ihre Enkel durch die Stube tollen. Es war, als ob eine riesige Last von den Schultern der Leute gefallen ist und sie freuten sich schon auf das neue Jahr, das ihnen wieder eine Zukunft bot, hier in ihrer Glashütte.
Plötzlich schreckte Johan hoch, ein Schneeball traf ihn und lachend stand seine Freundin Marie vor ihm: „He, Du Schlafmütze, wir wollten doch noch zum Tanz gehen oder übernachtest Du jetzt hier in der Hütte?“
Johan sprang von der Arbeitsbühne, hob Marie hoch und drehte sich mit ihr im Kreis, bis ihr schwindlig wurde und er sie absetzte.
„Natürlich gehen wir zu Tanz und ich erzähle Dir meinen wunderbaren Traum.“
Er küsste sie, nahm sie an die Hand und schon waren sie verschwunden.
Sicher hatten sie auch ein schönes Weihnachtsfest, aber dies ist eine andere Geschichte.

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