Mittwoch, 14. August 2013

Regen

Regen

Seit Tagen regnet es nun. Dabei habe ich doch frei und eigentlich möchte ich so viel tun.
Nun sitze ich hier in meiner Küche und schaue aus dem Fenster. Der Wind treibt die Tropfen an die Scheiben, unbeirrt laufen sie herunter. Manchmal gerade, dann wieder in schrägen Linien, wenn der Wind es so will. Vor mir steht eine Tasse heißer Tee, nach Sonne duftend, das Buch liegt geschlossen daneben. Ein Lesezeichen ragt vorwitzig aus den Seiten.
Nicht einmal lesen möchte ich, zu lange ist es draußen schon grau und verregnet.
Autos rasen durch die Straße, Gischt spritzt über den Bürgersteig bis an des Nachbarn Zaun.
Leute hasten gebückt mit Schirm und nassen Schuhen heimwärts oder in den Laden, das Nötigste einkaufen. Die Uhr zeigt erst nachmittags um vier an und es ist noch so lang bis zum Abend.
            Zwei Kinder, ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen hüpfen auf dem Gehsteig über Pfützen. Manchmal sind die Pfützen zu groß, sie platschen hinein. Lachend hüpfen sie zur nächsten Pfütze und ich schaue lächelnd zu. Die Gedanken wandern weit zurück, aus den Kindern wird ein Junge, der mit Gummistiefeln durch einen Rinnstein schlurft. Sehr viel Wasser läuft zum Gully, nimmt dabei braune Blätter mit. Über dem Gully sammeln sich kreisend die welken Blätter, gurgelnd verschwindet das Wasser in dem unsichtbaren Loch in der Straße. Mit einem Stock versucht der Junge das Gullygitter sichtbar zu machen, vergebens. Immer neue Blätter kommen und tanzen auf dem Wasser. Er schaut nach oben, der Regen läuft über sein Gesicht, er leckt das Wasser von seinen Lippen. Langsam geht er weiter, er muss heim. Daheim zieht er sich trockene Sachen an, Socken, eine Trainingshose und einen Pullover. Die feuchten Sachen hängt er in der Küche über die Herdreling zum trocknen. Mutti ist noch arbeiten und schimpfen soll sie nicht, weil die nassen Sachen rum liegen. Er ist ja auch schon groß, geht in die dritte Klasse. Auf dem Herd steht die Kanne mit lauwarmen Malzkaffee und im Kasten liegt Brot. Mit einigen Stücken Holz ist aus der Glut im Ofen das Feuer wieder angefacht. Brot schneidet er mit der Maschine, so eine Maschine zum kurbeln, Pflaumenmus steht im Schrank und schon kann das Festmahl losgehen.
Das Brot von beiden Seiten auf der Herdplatte rösten, Mus darauf und warmer Muckefuck mit Milch. Nun sitzt er am Küchentisch, schaut dem Regen zu, wie er an den Scheiben runter rinnt und kaut zufrieden sein Brot.
            Nach einer Weile steht er auf, räumt sein Geschirr weg, nimmt sich seinen Regenumhang und schlüpft in die Gummistiefel. Mit dem kleinen Korb geht er raus. Die Kaninchen sitzen mümmelnd in ihren Boxen, sie schauen dem Regen zu. Ständig schnüffeln ihre kleinen Nasen. Sein Lieblingskaninchen Mohrle passt auf die Jungen auf. Er darf vorsichtig in das Nest schauen. Langsam bekommen die sieben Jungen Hasen Fell, zwei davon so schwarz wie die Mama. Er deckt vorsichtig wieder Heu über die Babys, gibt allen Kaninchen etwas zum futtern und schaut dann noch nach den Hühnern. Die sind wasserscheu, sitzen alle leise gackernd auf der Stange und schauen ihn mit schiefen Köpfen an. Nicht einmal mit den goldenen Körnern kann er sie von der Stange locken. Aber streicheln lassen sie sich, glatt und trocken fassen sich ihre Federn an. Er nimmt seinen Korb und sammelt im Holzschuppen einige Scheite ein. Bis dicht unter den Henkel füllt er ihn und muss ihn nun mit beiden Händen vor dem Bauch tragen. Das Holz kommt in den Kohlenkasten unter dem Küchenherd, der Korb wieder vor die Tür und dann sitzt er im Dämmerlicht des Regentages am Küchentisch. Vor sich das Lesebuch, er soll ein Gedicht lernen. Vom Herbst, der die Blätter anmalt. Er mag aber keine Gedichte lernen und außerdem kennt er es als Lied. Mutti und Oma sangen es ihm vor. So schaut er wieder dem Regen zu, lauscht dem Prasseln des Feuers im Küchenherd und dem Trommeln des Regens an den Scheiben.
            Irgendwann streichelt es ihn über den Kopf, er war eingeschlafen. Mutti war zurück gekommen und mit ihr der Duft nach Regen und Kühle. Gemeinsam bereiteten sie das Abendessen vor, Kakao und Käsebrote. Das Licht brannte schon in der Küche und das Radio spielte leise. Im Wetterbericht erzählten sie von weiterem Regen, auch noch in den nächsten Tagen. Mutti seufzte wegen der schlechten Aussichten, der kleine Junge freute sich und erzählte von seinen Abenteuern mitten im reißenden Strom am Straßenrand, den vielen Blätterschiffen und ihrem Versuch dem Gully zu entkommen. Morgen würde er wieder das rauschende Wasser beobachten. Vielleicht kamen auch einmal andere Blätter vorbei oder auf den Laubschiffchen schwammen Käfer mit.
            Nach dem Essen musste er noch die Hausaufgaben zeigen, das Liedgedicht konnte er auch aufsagen und dann ging es ins Bett. Mit überwirbelten Fenster schlief er ein, der Regen rauschte ihn in den Schlaf.
            Ich schreckte hoch, das Telefon klingelte. Eine Einladung zum Spaziergang.
Warum nicht, vielleicht geht doch noch etwas Kind in unserem Alter. Zweifelnd schaute ich an mir runter, über Pfützen springen geht nicht, aber mit Gummistiefeln durch Regenbäche schlurfen. Stiefel an und ausprobiert, es war noch etwas Kind in mir.



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